Meinung

Die Idee der US-Hegemonie ist in einem amerikanischen Provinznest gescheitert

Seit einem Vierteljahrhundert kontrolliert die Neocons genannte ideologische Gruppe die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, stürzte Länder ins Chaos und begann Kriege. Jetzt ist eine ihrer Exponentinnen krachend gescheitert. Das könnte ihren Niedergang ankündigen.
Die Idee der US-Hegemonie ist in einem amerikanischen Provinznest gescheitertQuelle: www.globallookpress.com © Christoph Hardt via www.imago-im

Von Dmitri Bawyrin

Im ziemlich provinziellen Wyoming fand ein symbolträchtiges Ereignis der internationalen Politik statt. Liz Cheney, eine wichtige Figur der Trump-Gegner, Tochter des einst allmächtigen Vizepräsidenten und Nachfolgerin der Neocons, wurde von den Wählern wortwörtlich aus dem Kongress vertrieben. Die Neocons sind das Schlimmste, was die US-Politik zu bieten hat – aus Sicht Russlands und der Welt.

Das amerikanische Parteiensystem unterscheidet sich grundlegend von dem in Europa. Es gibt keine Parteiversammlungen, an denen Mitglieder ausgeschlossen werden können, und es finden keine Listenwahlen statt. Sowohl Demokraten als auch Republikaner sind ein Zusammenschluss bestimmter Personen mit Vor- und Nachnamen, deren Ansichten sich erheblich voneinander unterscheiden können.

Deshalb sind die "Primaries" (englische Abkürzung für: Vorwahlen) so wichtig. Sie bestimmen nicht nur, wer für die Parteikandidatur in der Bevölkerung am beliebtesten ist und die besten Chancen hat, die Wahl zu gewinnen. Sie bestimmen das politische Programm der Parteimehrheit und ob es links oder liberal, libertär oder religiös sein wird.

Die republikanischen Vorwahlen in der Provinz Wisconsin, die neulich stattfanden, sind so wichtig, dass ihr Ergebnis ein historisches Ereignis für Amerika darstellt. Besonders die Tatsache, dass die amtierende Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Liz Cheney, deutlich (mit mehr als doppelt so vielen Stimmen) gegen die Herausforderin Harriet Hageman verloren hat und den Kongress im Dezember verlassen wird.

Im Idealfall wird dies die endgültige Niederlage der Neokonservativen sein. Der Schlusspunkt ihres verheerenden Feldzugs durch die Welt, mit Millionen von Flüchtlingen, Hunderttausenden von Opfern und Hunderten von zerstörten Städten.

Für Cheney persönlich ist es auf jeden Fall ein schmerzhafter Schlag. Für einen amtierenden Kongressabgeordneten ist ihr Ergebnis ein noch nie dagewesener Tiefpunkt, und Wisconsin ist der Sitz der mächtigen politischen Dynastie der Cheneys. Ihr Vater Dick saß in den 1980er Jahren auf ihrem jetzigen Stuhl – bevor die Dynastie unter Präsident George W. Bush ihren Höhepunkt erreichte. Das waren dunkle Zeiten für den Planeten Erde.

Diejenigen, die heute als Neocons bezeichnet werden, sind nicht aus der Republikanischen, sondern aus der Demokratischen Partei hervorgegangen. In vielen Fragen war ihr Ansatz liberal oder – wie sie gerne betonten – progressiv, sei es bei den Rechten von Minderheiten oder bei staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft. In der Außenpolitik aber, da spielten sie den Falken, widersetzten sich einer Entspannungspolitik und waren bereit, den Konflikt mit der Sowjetunion bis zur endgültigen Niederlage des Kommunismus zu schüren.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts galt der Kommunismus bereits als besiegt, und ein prominenter Neokonservativer, Francis Fukuyama, erklärte bereits das "Ende der Geschichte". Doch die Wahl eines weiteren Präsidenten aus der Bush-Dynastie in Kombination mit Dick Cheney hauchte dem neokonservativen Flügel der nunmehr republikanischen Partei neues Leben ein.

Mit einer gewissen Vereinfachung lässt sich die Ideologie dieses Flügels auf die Weltherrschaft reduzieren, wie die von Hitler oder Napoleon.

Die Welt der Neocons versteht die USA als einen globalen Hegemon, für den es keine nationalen Grenzen gibt. Und diejenigen Regime, die Widerstand leisten, müssen durch den gezielten Einsatz amerikanischer Macht hinweggefegt werden.

Die Neokonservativen bezeichnen dies als Förderung von Demokratie und Freiheit, aber die Praxis ist trotzdem katastrophal. Die Folgen des Überfalls der Neokonservativen auf den Irak hat die gesamte Welt noch immer nicht überwunden.

Es wurde angenommen, dass Cheney das wahre Staatsoberhaupt unter dem leicht dämlichen und kurzsichtigen Bush war, ein Mythos, der von der liberalen Presse aktiv gefördert wurde. In Wahrheit nutzte das Bonzen-Kind Bush sein schauspielerisches Talent, um sich dümmer zu machen, als er wirklich war.

Vizepräsident Cheney war jedoch beispiellos einflussreich, obwohl es seinem Amt normalerweise an Einfluss mangelt. Und es ist schwer vorstellbar, dass Bush Junior die Kraft hatte, diesem Meister der Intrige und den anderen Mitgliedern des Teams seines Vaters zu widersprechen, die er als sein eigenes Team aufnahm (unter Bush Senior war Cheney Chef des Pentagon).

Dieses Tandem verbrachte zwei volle Legislaturperioden im Weißen Haus, wurde aber verfolgt und gehasst. Wobei der öffentlichkeitsscheue und scheinbar gefährliche Cheney bei den Wählern noch unbeliebter war als Bush. Denn sie glaubten, die meisten Probleme Amerikas seien die Folgen seiner zynischen und skrupellosen Pläne.

Wären diese Probleme allein diejenigen von Amerika gewesen, so könnte man den Amerikanern durchaus Sympathie entgegenbringen. Doch die damalige Finanzkrise entpuppte sich als global, und Konsequenzen der Bush-Cheney-Außenpolitik entflammten den Nahen Osten, während die Beziehungen zu Russland den Kurs des Kalten Krieges annahmen.

Dennoch waren die Neocons nicht ganz verschwunden, und Liz Cheney war eine ihrer Keimzellen, die zu sprießen drohte. Ihr Vater hatte ein pathologisches Bedürfnis nach einer eigenen Dynastie und hatte keine Wahl: Er hat zwei Töchter in seiner Familie, und die jüngste ist eine LGBT-Aktivistin. Die Neocons, wie auch andere Globalisten, sind den Minderheiten gegenüber nachsichtig, den Republikanern ist eine solche Erbschaft dann aber doch zu viel.

Dafür ist Liz hoch aufgestiegen. Von 2019 bis 2021 war sie sogar Vorsitzende der Republikanischen Konferenz, der dritten Position in der Hierarchie des Repräsentantenhauses. Nun ist für sie alles zusammengebrochen, und Cheney, das böse Genie der Neokonservativen, ist seines politischen Nachfolgers beraubt.

Ihre Niederlage würde man sich gerne mit der Einsicht der Amerikaner in die Bösartigkeit der Politik des "Wenn ihr keine Demokratie habt, dann fliegen wir zu euch" erklären. Allerdings ist die Sache weitaus prosaischer und einfacher: Cheney hat verloren, weil sie sich gegen Donald Trump gestellt hat.

Ihr Konflikt war unvermeidlich – der "Trumpismus" ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil des Neokonservatismus. Er ist anti-elitär, populistisch und neigt zu Fremdenfeindlichkeit. Vor allem aber stellt er seinen eigennützigen Isolationismus der neokonservativen Politik der Auslandsinterventionen gegenüber.

Verschärft wurde die Situation durch Liz' Ambitionen, einen Anti-Trump-Putsch innerhalb der Partei zu versuchen. Sie gehört zu den wenigen Republikanern, die für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gestimmt hat, nach der versuchten Erstürmung des Kongresses. Und sie war anschließend die informelle Anführerin der "Anti-Trumpisten" – einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe, berücksichtigt man die Begünstigung durch die amtierenden Demokraten, ihres Standpunktes wegen. 

Somit ist die Niederlage von Cheney ein persönlicher Triumph für Trump. Allein die Tatsache aber, dass aus dem Kongress die symbolträchtige Figur eines Neokonservativen vertrieben wird, ist weitaus bedeutender als seine Ambitionen.

Aufgrund des Umstands, dass auch bei Trump nicht alles rund läuft: Obwohl Cheney verloren hat, konnte eine seiner Gegnerinnen, die amtierende Senatorin Lisa Mercausky, die Vorwahlen in ihrem Bundesstaat Alaska am selben Tag gewinnen. Der "Trumpismus" ist also dominant unter den Republikanern, aber nicht absolut. Und Trump ist stark genug, um sicher zu sein, dass seine persönliche Unterstützung bei den Wahlen eine Garantie für den Erfolg ist.

Die Hauptsache ist, dass die Neocons von Bord geworfen wurden und ihre hämischen Parteigänger die Bedeutung des Augenblicks erkennen. Nach Cheneys Niederlage in Wyoming wurde eine Party veranstaltet, an der die Parteispitze anwesend war, und sogar der reichste Mann der Welt war eingeladen – Elon Musk, der wegen der Mittelmäßigkeit der Regierung Biden und der "Kulturkriege" zu den Republikanern wechselte.

So wurde das routinemäßige Ereignis der amerikanischen Regionalpolitik in einem abgelegenen Bergstaat, dessen größte Stadt nur 65.000 Einwohner zählt, zu einem geopolitischen Ereignis. Hagemans Triumph über Cheney ist vergleichbar mit der Schlacht von Poljana [im Jahr 1945], der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs in Europa, die noch Mitte Mai stattfand, als der Ausgang des Krieges bereits feststand.

Natürlich hat das neokonservative Projekt des Globalismus weniger Opfer und Zerstörung hinterlassen als dasselbe Projekt Hitlers. Vielleicht aber nur, weil sie rechtzeitig aufgehalten wurden.

Übersetzt aus dem Russischen.

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